
AUTOREN
Dipl.Wirt.-Ing.
Gideon Schwich
ist Gruppenleiter Massivformteile am
Institut für Bildsame Formgebung
(IBF) der RWTH Aachen
Dipl.-Ing.
Stefan Günther
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Institut für Bildsame Formgebung
(IBF) der RWTH Aachen
Das Ringwalzen
ist ein inkrementelles
Massivumformverfahren
zur Herstellung
ringförmiger
Bauteile
aus unterschiedlichen
Werkstoffen
in einem breiten geometrischen
Spektrum
für Anwendungen
in Automotive,
Offshore
und in der Energieindustrie.
In der industriellen
Praxis ist die near-net-shape-Produktion
sowie
die Ausschussvermeidung
von höchster Bedeutung,
da
Kosten
und Energieverbrauch
für den Prozess
in direkter
Abhängigkeit
zur Menge
des eingesetzten
Materials
stehen.
Mögliche
Gründe für Ausschuss
beim Ringwalzen
sind unter anderem
Formfehler
im Ring, Grobkornbildung
oder Risse.
Formfehler
spielen
heute – zumindest
bei Ringen
mit rechteckigem
Querschnitt
– eine untergeordnete
Rolle. Grobkornbildung
und
Risse
hingegen
sind immer
relevanter
werdende
Probleme,
insbesondere
bei hochentwickelten
Werkstoffen
wie Nickelbasislegierungen,
die ein nur sehr kleines Prozessfenster
zulassen.
Bisher
nicht in ihren Auswirkungen
systematisch
untersuchte
Schwankungen
in Kinematik,
Ofentemperatur
und Transferzeiten
führen
so teilweise
zu Ausschuss
unter scheinbar
identischen
Prozessbedingungen.
Um Ausschuss,
insbesondere
durch Rissbildung,
zu vermeiden,
werden
in der industriellen
Fertigung
oft Aufmaße
basierend
auf Erfahrungswerten
genutzt.
Diese
Erfahrungswerte
sind in der Regel
verhältnismäßig
konservativ
abgeschätzt,
sodass
die Aufmaße
oft größer
als
notwendig
sind.
In diesem
Beitrag
werden
Einflüsse
von Prozessschwankungen
auf das Produkt
nach dem Ringwalzen
aufgezeigt.
Dafür
werden
in einem ersten
Schritt industrielle
Prozessketten
betrachtet
und schwankungsbehaftete
Parameter
identifiziert
und quantifiziert.
Anschließend
wird über ein vollständig
geregeltes
FE-Modell mit nachfolgender
Mikrostruktursimulation
der Einfluss
der ermittelten
Schwankungen
auf die Mikrostruktur
abgeschätzt.
Abschließend
werden,
ebenfalls
basierend
auf den ermittelten
Schwankungen,
Schädigungssimulationen
TECHNOLOGIE UND WISSENSCHAFT
Prof. Dr.-Ing.
Gerhard Hirt
leitet das Institut für Bildsame
Formgebung (IBF) der RWTH Aachen
durchgeführt,
um einen ersten
Schritt zur etwaigen
Reduktion
von Aufmaßen
zu gehen.
INDUSTRIELLE DATENAUFNAHME
Zur Identifikation
von schwankungsbehafteten
Einflüssen
in
Ringwalzprozessen
wurden
Datenaufnahmen
in den Unternehmen
Dirostahl
Karl Diededrichs KG, Schmiedewerke
Gröditz
GmbH, Chr. Höver & Sohn GmbH & Co KG und ThyssenKrupp
Rothe Erde GmbH im Rahmen
eines AiF-Projekts
durchgeführt.
Insgesamt
wurden
über 350 Walzungen
sowie Stauch- und
Lochvorgänge
dokumentiert.
Das Größenspektrum
der gewalzten
Ringe reichte von Ringen
mit Außendurchmessern
von zirka
350 bis zu zirka 4.900 Millimetern.
Das Einsatzgewicht
der Ringe
lag zwischen wenigen
Kilogramm
und 18 Tonnen. Aus den verschiedenen
Größendimensionen
der Ringe ergeben
sich deutliche
Unterschiede
im Handling.
Um den hieraus
folgenden
Unterschieden
in Transferzeiten
und somit
auch Temperaturprofilen
im Ringquerschnitt
gerecht
zu werden,
musste eine
Gruppierung
nach Ringgrößen
und Gewichten
erfolgen.
Nachfolgend
werden
die Ergebnisse
für mittelgroße
Ringe mit einem
finalen
Außendurchmesser
bis zu zirka 1,3 Metern und Gewichten
bis 300 Kilogramm
diskutiert,
eine Geometrie
die in vielen
deutschen
Ringwalzwerken
produzierbar
ist. Da die größten
Schwankungen
in den Temperaturen
und in Abweichungen
von
den geforderten
Ringwachsgeschwindigkeiten
(RWG) festgestellt
wurden,
werden
diese
Parameter
vertiefend
betrachtet.
Für die Temperaturmessung
wurde
ein Thermographiesystem
des Anbieters
Infratec
genutzt
(Bild 1). Die Messung
erfolgte
mit Emissionskoeffizienten
aus der Literatur
1-3. Dies war
zulässig,
da im Rahmen
dieser
Untersuchung
weniger
die absolute
Genauigkeit
der Temperaturmessung
relevant
war als
vielmehr,
dass die Temperaturvariationen
korrekt
ermittelt
werden.
Die Messung
der RWG, die das Größenwachstum
des Rings
über die Zeit wiedergibt,
erfolgte
über Loggerschriebe
der Ringwalzanlagen.
massivUMFORMUNG | SEPTEMBER 2018 73