Liebe Massivumformer,
Ende 2021 haben wir einen verhaltenen Ausblick auf 2022 gegeben. Zu viele Unsicherheiten aufgrund der damals noch bestehenden Engpässe in der Lieferkette und der bereits evidenten Energiekostenverteuerungen, aber auch wegen des Regierungswechsels in Berlin, trübten die Erwartungshaltung bei unseren Mitgliedern.
Was sich jedoch im Laufe des Jahres durch den russischen Überfall auf die Ukraine entwickelte, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand absehen.
2022 – das dritte Krisenjahr in Folge
Der Jahresauftakt 2022 ließ sich zunächst noch positiv an, in den ersten beiden Quartalen wurde in der Massivumformung insgesamt ein Produktionswachstum gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres realisiert. Auch das dritte Quartal 2022 wurde noch von den hohen Auftragsbeständen aus den Kundenbranchen Automotive und Maschinenbau getragen und führte zu einer zufriedenstellenden Auslastungslage in der Branche der Massivumformung.
Mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine am 24. Februar und den in der Folge verhängten Sanktionen ergab sich jedoch eine weitere deutliche Eskalation der Energie- und Materialkostensituation. Selbst die Versorgungssicherheit von Energie und Vormaterialien steht seitdem in Frage. Die durch Engpässe und Energiekostensteigerungen entstehende Inflation erreichte alle Unternehmensbereiche; auch in der Bevölkerung entstanden im Laufe des Jahres deutliche Kostenerhöhungen die merklich auf das Konsumklima schlugen.
Politische Hilfsmaßnahmen wurden trotz prominenter Ankündigungen nur verspätet und aufgrund komplexer Auflagen mit zu erwartender geringer Durchschlagskraft angestoßen. Die deutsche Energiepreisbremse befindet sich zum Zeitpunkt des Schreibens in der parlamentarischen Abstimmung – laut unserer Bewertung steht der Entwurf in vollständigem Widerspruch zum Bedarf der energieintensiven Unternehmen.
Zusätzliche Sorgen macht den Betrieben der Massivumformung der aktuelle Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie. Die vereinbarte Größenordnung – insbesondere die steuerbegünstigten Einmalzahlungen – könnte viele Unternehmen an die Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führen.
Getrübter Ausblick auf 2023
Die volkswirtschaftlichen Signale für das nächste Jahr stehen für Deutschland auf Rezession. Nach dem letzten Stimmungsbarometer des IMU beurteilten im Oktober 2022 60% der Unternehmen die Geschäftslage als „schlecht“, weitere 35% rechnen in den kommen 6 Monaten nicht mit einer Verbesserung der Situation.
Der Ausblick auf 2023 verspricht zwar eine Verbesserung der Engpasssituation, durch rückläufige Auftragseingänge ist die zukünftige Geschäftsentwicklung aber äußerst unsicher.
Abhängig von der weiteren Gestaltung der Energiepolitik und weiterer industriepolitischer Entscheidungen auf deutscher bzw. EU-Ebene werden mittel- und langfristig die Weichen für die Zukunft unserer energieintensiven Branche gestellt werden.
Verbandliche Aufgaben in Krisenzeiten!
Erneut kamen dem Industrieverband Massivumformung in 2022 aufgrund der geschilderten Situation wichtige Aufgaben zur Unterstützung unserer Mitglieder zu:
- Transparente Informationen der Mitglieder über die Entwicklungen, deren Hintergründe und Auswirkungen
- Appelle an Kunden zur gemeinschaftlichen Lösung der Situation in Abkehr von den jahrzehntelang gepflegten restriktiven Kunden-Lieferantenbeziehungen hin zu echten Partnerschaften
- Forderungen an die Politik zur Entlastung der betroffenen Unternehmen und Gewährleistung von wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen im europäischen und weltweiten Vergleich
In unserem monatlichen „IMU-Mittagsforum“ haben wir regelmäßig durch Konjunktur-Updates und Experten-Inputs über die Entwicklungen berichtet und die Betroffenheit der Massivumformer über Kurzumfragen ermittelt.
Die Außenkommunikation des Verbandes wurde nochmals deutlich verstärkt und über Pressemeldungen, die prominente Verbreitung fanden, sowie Social-Media Aktivitäten in LinkedIn ein öffentliches Bewusstsein über die schwierige Situation der Branche und ihre Notwendigkeiten geschaffen.
Unser monatlicher Newsletter „massiveNEWS“ bündelt die relevanten Themen regelmäßig zum Monatsauftakt. Schließlich haben wir im Schulterschluss mit anderen Verbänden im Wirtschaftsverband Stahl- und Metallumformung WSM in Schreiben direkt an Kunden (OEMs und 1st Tiers) gewandt, um für kooperative Zusammenarbeit sowie partnerschaftliche Lieferbeziehungen zu werben. An die Politik (Berlin und Brüssel) wurden Forderungen zur Bewahrung bzw. Schaffung von wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen für unsere Industrie gerichtet.
Weitere politische Aktivitäten betrafen:
- Antrag auf Anpassung der Emissionsintensität nach § 23 der Verordnung über Maßnahmen zur Vermeidung von Carbon-Leakage durch den nationalen Brennstoffemissionshandel (BECV) für Freiformschmieden zum 30. April 2022. Bei positivem Bescheid könnten die Betriebe eine deutlich höhere Entlastung von der CO2-Steuer beantragen. Der Antrag befindet sich aktuell noch in der Prüfung durch die Deutsche Emissionshandelsstelle DEHSt. Für die Gesenkschmieden wird aktuell der Antrag auf Anerkennung als beihilfeberechtigter Sektor im Sinne der Carbon-Leakage-Verordnung – BECV zum 31.12.2022 vorbereitet, um auch hier die individuelle Entlastung zu ermöglichen.
- Im Rahmen der Erstellung des „Smitheries and Foundries Best Available Techniques Reference Document“, kurz SF-BREF, wurde im April 2022 ein erster Entwurf der „Sevilla Büros“ der EU-Kommission vorgelegt. Über unseren europäischen Verband EUROFORGE haben wir dazu über 150 Kommentare abgegeben. Das Dokument befindet sich seitdem in der weiteren Überarbeitung.
- Am 30. Juni 2022 wurde als Ergebnis jahrelanger politischer Bemühungen die EEG-Umlage ausgesetzt. Der Effekt geriet allerdings aufgrund der parallel eingetretenen drastischen Stromkostenentwicklung in den Hintergrund.
- Die Rahmenrichtlinie für die BREF, die „Industrial Emission Directive“ (IED) wird parallel revidiert. Es droht eine drastische Ausweitung des Geltungsbereichs für die Schmiedeindustrie. Ebenfalls über EUROFORGE wurde ein Positionspapier erstellt und politische Kontakte in Brüssel sowie in den einzelnen Mitgliedsländern angesprochen. Der Bundesverband der deutschen Industrie BDI hat unsere Position 1:1 übernommen. Weitere Entscheidungen auf EU-Ebene werden im ersten Quartal 2023 getroffen.
- Die „Carbon Border Adjustment Measures“ (CBAM) der Europäischen Union schützen nach Entwurf der EU-Kommission nur die Vormateriallieferanten gegen Billigimporte aus Ländern ohne entsprechende CO2-Besteuerung. Durch intensives Lobbying ist es gelungen, dass die Aufnahme von massivumformspezifischen Zolltarifnummern auf die CBAM-Liste im aktuell laufenden Trilog diskutiert wird. Das abschließende Ergebnis des Trilogs wird voraussichtlich am 12. Dezember 2022 vorliegen.
Veranstaltungen und Projekte mit Blick in die Zukunft
Nach über 2-jähriger Zwangspause durch die Corona-Pandemie wurden ab dem zweiten Quartal 2022 endlich wieder persönliche Treffen und Veranstaltungen möglich.
Abhängig von den jeweiligen Inhalten und Zielen unserer Veranstaltungen entstand ein Mix aus Präsenz-, Hybrid- und Online-Formaten. So waren wir in der Lage wieder eine Vielzahl an hochqualitativen Arbeitskreisen, Kennzahlenvergleichen, Seminaren und Projektgruppen zu organisieren.
Besonders schön war das Zusammentreffen auf unserer Jahrestagung der Massivumformung in Stuttgart mit einer spannenden Keynote „Die Tiefschlaf-Formel“ und einem stimmungsvollen Netzwerkabend.
Darüber hinaus betreuten wir fast 20 laufende Studien und Forschungsprojekte und konnten knapp 1,2 Mio. EUR an Fördermitteln für Projekte des IMU und der GCFG gewinnen.
Unser Fachmagazin massivUMFORMUNG erreichte in 2022 erneut über 13.000 Leser.
Weitere Highlights unserer verbandlichen Aktivitäten in 2022 waren:
- Weiterentwicklung des Tools „FRED“ und Ausrollen auf andere Branchen. Im Rahmen einer eigenständigen „FRED GmbH“ wird der Carbon Footprint Calculator zukünftig auch die Technologien Guss, Schraubenherstellung, Federnherstellung, Eisen- und Drahtziehen, Kunststoffverarbeitung sowie weitere abbilden. Zudem enthält FRED nun auch ein Modul zur Berechnung des Corporate Carbon Footprints CCF. Eine Einbindung in das Catena-X Datenökosystem ist geplant.
- Vertiefung der Studie „Marktpotenziale der Wasserstoffwirtschaft für massivumgeformte Bauteile“ als Informationsbasis für die Zukunftsausrichtung unserer Mitglieder. Die Ergebnisse werden noch vor Jahresablauf vorgestellt.
- International Forging Congress IFC am 11.-13. Juni in Chicago / US.
- IMU-Stand auf der Messe CastForge und Sonderausstellung der „Partner der Massivumformung“ am 21.-23. Juni in Stuttgart
- EUROFORGE conFAIR 2022 am 28.-29. September in Bilbao / ES
- Gemeinschaftsstand auf der Internationalen Zulieferbörse IZB am 11.-13. Oktober in Wolfsburg.
Viele unserer Aktivitäten erhalten erst durch die Zusammenarbeit in unserem verbandlichen Netzwerk besondere Schlagkraft. Vor allem die Kommunikationsmaßnahmen gegenüber Politik, Kunden und Öffentlichkeit gemeinsam mit unserem deutschen Wirtschaftsverband WSM, der Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie ArGeZ, dem Bündnis faire Energiewende sowie unserem europäischen Dachverband EUROFORGE sind hier zu nennen. Im engeren Verbändenetzwerk am Haus der Stahlverformung in Hagen haben wir durch gemeinsame Angebote die Weiterbildungsoptionen und die Austauschmöglichkeiten für unsere Mitglieder deutlich erweitert.
Erstklassig – Nah – Vielseitig – Fortschrittlich… mit Engagement für die Branche
Unser wichtigstes Ziel als Industrieverband ist der Erhalt und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Mitglieder!
Im dritten Krisenjahr in Folge und mit der Perspektive auf zunehmend schwierigere Bedingungen für energieintensive Unternehmen in Deutschland und Europa sehen wir auch in 2023 unsere Aufgabe darin, unseren Mitgliedern Orientierung zu geben und sie in ihrer täglichen Arbeit sowie der Unternehmenssteuerung bestmöglich zu unterstützen. Durch Informations- und Erfahrungsaustausch, zukunftsorientierte Projektarbeit, Benchmark-Informationen und branchenspezifische Fortbildungsangebote sowie eine laute Stimme der Branche bei Politik und Kunden.
Insbesondere unsere strategischen Projekte zielen darauf, auch in international schwieriger werdenden Wettbewerbsbedingungen Differenzierungsmerkmale zu identifizieren und sich so langfristig erfolgreich zu positionieren.
In 2023 laden wir jetzt schon zu unserer Jahrestagung der Massivumformung am 14.-15. Juni in der Zeche Zollern in Dortmund ein. Im Rahmen der Abendveranstaltung wird die Keynote von Vince Ebert, dem erfolgreichen Science-Comedian, für Stimmung und Gesprächsstoff sorgen.
Wir bedanken uns zum Jahreswechsel herzlich bei allen in unserem Vorstand und Beirat sowie bei den in unseren Ausschüssen, Arbeitsgremien und Projektgruppen ehrenamtlich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Mitgliedsunternehmen für ihr großes Engagement und die gute Zusammenarbeit!
Ein besonderer Dank geht auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Industrieverbandes Massivumformung, die kompetent und mit großem Engagement die Vielzahl an verbandlichen Themen organisieren.
Die Massivumformung hat, wie keine andere Branche in Deutschland, gezeigt, wie wandlungsfähig und krisenresilient sie ist. Zeigen wir gemeinsam, dass wir den enormen Herausforderungen als Verband geschlossen begegnen und das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben!
In diesem Geist wünschen wir Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest sowie Gesundheit, Glück und viel Erfolg für das kommende Jahr.
Ihre
Thomas Hüttenhein (Vorstandsvorsitzender) & Tobias Hain (Geschäftsführer)