Automobilzulieferindustrie im Krisenmodus - Professionelles Liquiditätsmanagement als wesentliches Steuerungsinstrument und als Entscheidungsgrundlage für die Ausgestaltung kurzfristiger Maßnahmen

Professionelles Liquiditätsmanagement hat besonders in Krisenzeiten existenzielle Bedeutung. Ob es sich nun um die akute Sicherung der unternehmerischen Existenz bzw. bereits um die Abwendung drohender Insolvenztatbestände oder die Erhaltung notwendiger Finanzierungsspielräume in unsicheren Zeiten handelt – all diese Situationen erfordern durchdachtes, systematisches Finanzmanagement in Bezug auf die operative Planung und Steuerung der kurzfristigen Liquidität.

Dieser Instrumentenkasten schafft die Zeit für eine professionelle Restrukturierung der Unternehmensfinanzierung, um mittelfristig das Gleichgewicht aus leistungswirtschaftlicher Ertragskraft und Finanzierungsstruktur wieder herzustellen und damit die Basis für die weitere Unternehmensentwicklung zu sichern.

Für die traditionsreiche und doch krisenerprobte deutsche Automobilzulieferindustrie mit mittelständischen Strukturen stehen die Vorzeichen derzeit in einem Maß auf Krise, wie dies im Nachkriegsdeutschland seinesgleichen sucht. War es in der Zeit vor der Pandemie insbesondere noch der hohe Transformationsdruck, der durch den sich abzeichnenden Technologiesprung zur E-Mobilität bestand und insbesondere strategische Weichenstellungen zur Abwendung einer strategischen Krise in der Automobilzulieferindustrie erforderte, sind es nunmehr die direkten Auswirkungen der Pandemie mit einhergehenden Vormaterial- und Logistikpreissteigerungen sowie der Halbleiterkrise mit Auftragseinbrüchen und Energiekostenexplosion, die die Auslöser für eine akute krisenhafte Entwicklung einer sehr hohen Anzahl von Marktteilnehmern aus der mittelständischen Automobilzulieferindustrie in einem existenzbedrohenden Ausmaß bedeuten.  

 Zielorientierte Steuerung der kurzfristigen Liquidität zur Schaffung von Handlungsspielräumen

 Die zunächst aus Sicht der Automobilzulieferindustrie seit Sommer 2020 positive wirtschaftliche Entwicklung nach dem direkten Schock des ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hat trotz häufig positiver Ertragsentwicklung keine liquiditätsseitigen Handlungsspielräume eröffnet, da der erwirtschaftete operative Cash Flow im Bereich des Working Capital - und hier insbesondere im Vorratsvermögen -durch gravierende Preissteigerungen bei den Rohmaterialien mehr als aufgezehrt wurde. Mit dem Einbruch der Nachfrage seit September 2021 aufgrund der Halbleiterkrise nehmen die Zulieferer nun akute Verluste hin, die auf gebundene Liquidität treffen, was vor dem Hintergrund der gravierend eingetrübten Perspektiven für das Jahr 2022 in vielen Fällen zu relevantem, kurzfristigen Liquiditätsbedarf führt. Oberste Priorität hat nun die Schaffung von Handlungsspielräumen durch Sofortmaßnahmen zur Sicherung der kurzfristigen Liquidität, ohne durch diese Maßnahmen die Entwicklungsperspektiven der Unternehmen mittelfristig zu gefährden.

In Abgrenzung zum Finanzmanagement, das eher eine mittel- und langfristige Bilanzpolitik als Fokus hat, besitzt das Liquiditätsmanagement primär die Aufgabe der Sicherstellung und Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens durch eine aktive und zielorientierte Steuerung der kurzfristigen Liquidität. Ein ganzheitliches Finanzmanagement basiert neben einer mittel- bis langfristigen integrierten Finanzplanung über 3 - 5 Jahre mit dem Ziel der geschäftsmodelladäquaten strukturierten Finanzierung auf einer rollierenden, dynamischen Liquiditätsvorschau der nächsten 13 Wochen. Die Sicherstellung der kurzfristigen Liquidität mit Hilfe von Sofortmaßnahmen auf Grundlage einer belastbaren 13 Wochen Liquiditätsplanung schafft hier nun den Handlungsspielraum anschließend strukturelle Maßnahmen auf Basis einer mittel- und langfristigen Planung mit der gebotenen Sorgfalt zu gestalten.

 Liquidität planen und sichern ist oberstes Gebot in der Krise

 Die mittel- bis langfristige integrierte Finanzplanung bildet die Basis für den Aufbau einer strukturierten Finanzierung, die im „Normalbetrieb“ den Bedarf des Geschäftsmodells adäquat und mit hinreichenden Puffern für eine in einem überschaubaren Ausmaß mögliche planabweichende Entwicklung abbildet. Die aktuelle „Ausnahmesituation“ in der Automobilzulieferindustrie mit Auftragseinbrüchen einerseits und Lieferengpässen und Kostenexplosionen auf der Beschaffungsseite andererseits führt jedoch dazu, dass insbesondere vor dem Hintergrund einer krisenbehafteten Unternehmenssituation die Aufrechterhaltung der kurzfristigen Liquidität derzeit oberste Priorität hat.

Darüber hinaus ist die Liquiditätssteuerung auf Basis einer kurzfristigen Liquiditätsplanung ein wesentliches Instrument, um bei der Überbrückung von Restrukturierungszeiträumen helfen zu können, dies insbesondere auch vor dem haftungsrechtlichen Hintergrund einer möglichen Zahlungsunfähigkeit für die Gesellschaftsorgane.

Praxisorientiertes Tool für professionelles Liquiditätsmanagement

Um in der Praxis die entsprechende Transparenz über die Liquiditätssituation erzeugen zu können, ist oftmals eine komplexe Datenzusammenführung und Auswertung notwendig. In unseren Beratungsmandaten lösen wir dies mittels eines praxiserprobten Tools und generieren somit die Basis für ein professionelles und kurzfristig ins Leben zu rufende Liquiditätsmanagement.

Diese Liquiditätsplanung mit einem Planungshorizont von 13 Wochen kann als Grundlage für das operative Zahlungsmanagement eingesetzt werden. Darüber hinaus kann das Tool zur Überbrückung dienen, um fundierte Aussagen zur Liquiditätssituation des Unternehmens treffen zu können, bis die Unternehmensführung eine neue, adäquate strukturierte Finanzierung umgesetzt hat und die Ursachen für die zuvor erfolgte krisenhafte Entwicklung – beispielsweise durch die Umsetzung hinreichender Verkaufspreise umgesetzt hat.

 Zeit und Geschwindigkeit spielen insbesondere in der Situation eines Liquiditätsengpasses eine entscheidende Rolle. Der Zeitraum für die unternehmensspezifische Anpassung und Installation des Tools bis hin zur selbstständigen Nutzung durch das Unternehmen nimmt deshalb nur wenige Tage in Anspruch.

Kurzfristige Maßnahmen im Rahmen des professionellen Liquiditätsmanagement

In Krisensituationen hat die kurzfristige Liquiditätssteuerung vor den bereits genannten Hintergründen oberste Priorität. Hierbei sind aktuell Maßnahmen, die zum Teil spezifisch für die Automobilzulieferindustrie sind, auf sinnvolle Durchführbarkeit zu analysieren:

  • Durchsetzung der Rechtsfolgen von etwaig bestehenden Force-majeure-Klauseln oder vergleichbaren vertraglichen Regelungen
  • Nutzung des Mahnwesens, Beschleunigung der Rechnungsstellung sowie aktive Steuerung der Kundenzahlungsziele bis hin zu einer Forderung nach einem PromptPayment
  • Nutzung der Potenziale in der Lieferantenfinanzierung – auch vor dem Hintergrund der beteiligten Kreditversicherungen
  • Generierung von Liquidität aus den unterschiedlichen Bereichen des Lagers (Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie unfertige und fertige Erzeugnisse und Waren)
  • Verkauf von nicht benötigtem Betriebsvermögen
  • Minderung von Betriebsausgaben
  • Einsatzmöglichkeiten von Leasing, Factoring und Sale-and-lease-back
  • Verhandlungen mit den begleitenden Kreditinstituten zwecks einer Tilgungsstreckung bzw. Tilgungsaussetzung bei vorhandenen Darlehen

Für die aktuelle Ausnahmesituation mögen im Einzelfall die vorgenannten Maßnahmen nicht ausreichend sein. Hinzu kommt, dass die jeweilige existenzbedrohenden Krise durch exogene Ursachen hervorgerufen wurde. In diesen Situationen verbleibt i.S. eines letzten Mittels – sofern das Geschäftsmodell dem Grunde nach in zukünftigen Post-Corona-Zeiten als zukunftsfähig eingeschätzt wird – die Prüfung von weitergehenden Maßnahmen, die deutliche Beiträge von nachgelagerten Wertschöpfungsstufen der Lieferkette bedeuten:

  • Im Ergebnis einvernehmliche Anpassung von Lieferverträgen vor dem Hintergrund des faktischen Risikos des Ausfalls der Versorgung des Kunden oder der alternativ drohenden Versorgung unter Konditionen, die ein Insolvenzverwalter diktiert (Maß der Abhängigkeit des Kunden bestimmt hierbei mögliche Verhandlungserfolge)
  • Eine Störung der Geschäftsgrundlage infolge Coronapandemie, die zur Anpassung oder zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt.

Letztere Maßnahmen sollten hierbei immer ausschließlich mit professioneller Unterstützung von krisenerfahrenen Juristen und Restrukturierungsberatern nach eingehender Prüfung umgesetzt werden. Neben dem Schutz vor juristischen und betriebswirtschaftlichen Fallstricken kann durch den Beratereinsatz im Sinne eines verhandlungstaktischen Mittels auch für die zukünftige Geschäftsbeziehung das persönliche Verhältnis zwischen den Verantwortlichen auf Kunden- und Lieferantenseite geschont werden – auch wenn Forderungen nach einer grundlegenden Vertragsanpassung auf Seiten der OEMs in aktueller Situation sicherlich keine Einzelfälle bleiben werden.  

Fazit

Viele mittelständische Unternehmen sehen sich vor dem Hintergrund der Coronapandemie und den einhergehenden Begleiterscheinungen auf den Beschaffungs- und Absatzmärkten in einer existenzbedrohenden Krise. Die mittel- und langfristige Finanzierungsstruktur der betroffenen Unternehmen hält derzeit den andauernden Belastungen nicht mehr oder nur noch kaum Stand. Der derzeitige Krisenmodus erfordert daher unabdingbar den Einsatz effektiver Liquiditätssteuerungstools, um die kurzfristige Handlungsfähigkeit aufrecht erhalten zu können. Die Wahl der Maßnahmen zur Liquiditätssicherung bleibt aber immer abhängig von den Umständen des Einzelfalls. Sowohl für die Umsetzung validier Liquiditätssteuerungstools als auch für die Wahl und Umsetzung von liquiditätssichernden Maßnahmen ist der Einsatz externer Berater von hohem Nutzen. Die derzeitige Ausnahmesituation mit bestehenden exogenen Krisenursachen erweitert andererseits in bestimmten Fällen die Eingriffsmöglichkeiten in laufende Vertragsbeziehungen auch vor dem Hintergrund des faktischen Bedarfs auf Seiten des OEM.  

Holger Hahn                              Frank Jakisch

Executive Partner                     Partner

 

hahn consultants gmbh