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2013-09-Schmiede-Journal

Dialog Herr Dr. Wieland, neben den Produzenten von massivumgeformten Bauteilen waren ja auch die Stabstahlanbieter vertreten. Was haben Sie sich davon versprochen? Der branchenübergreifende Charakter mit der gebündelten Kompetenz aus Werkstoffwissen und Schmiedetechnologie ist in dieser Initiative entscheidend. Wir wollen die voranschreitenden Werkstoffentwicklungen in Endprodukte übertragen. So kann die Branche die Potenziale der modernen hochfesten Stähle optimal nutzen und neue Anwendungsmöglichkeiten schaffen, die auch den ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Herr Dr. Tutmann, seit dem Treffen Ende 2012 sind 24 Unternehmen der Initiative beigetreten. Dafür mussten sie ihren Beitrag zur Finanzierung des ersten Projektabschnitts leisten und zusagen, dass sie qualifizierte Mitarbeiter für die Projektarbeit freistellen. Wie üblich ist so ein fachliches und finanzielles Engagement? Wir sprechen hier ja insgesamt von einer sechsstelligen Summe. Die vorwettbewerbliche Zusammenarbeit von Firmen innerhalb des IMU, zwischen IMU und der German Cold Forging Group (GCFG) sowie zwischen IMU und dem Stahlinstitut ist traditionell gut und vertrauensvoll. Man kennt sich zum Teil aus früheren Projekten. Aber eine Initiative wie „Massiver Leichtbau“ mit dem Ziel einer verbandsübergreifenden, eigenfinanzierten Zusammenarbeit hat es in der Massivumformung noch nicht gegeben. Es gibt ja auch überzeugende Vorteile für die teilnehmenden Unternehmen: Die Bündelung der Leichtbauaktivitäten verschafft ihnen mehr Aufmerksamkeit bei den Kunden und sie können die Leichtbaupotenziale massivumgeformter Bauteile und ihre eigene Kompetenz wirkungsvoller praxisnah darstellen. Herr Dr. Raedt, wenn Sie die an der fka durchgeführten Workshops Revue passieren lassen, was sind für Sie die wesentlichen Erkenntnisse? In den Unternehmen hat ein spürbarer Prozess des Umdenkens stattgefunden: Sie bewerten die Zusammenarbeit nun deutlich positiver und loben die unerwartet offene Atmosphäre. Im Vorfeld hatte es die Befürchtung gegeben, dass die Angst vor der Konkurrenz und das Bedürfnis nach Schutz des firmeninternen Wissens die Diskussionen stören könnten. Das war allerdings kaum 16 SchmiedeJOURNAL September 2013 festzustellen. Im Gegenteil: Wenn einzelne Unternehmen eine Denkblockade oder den Tunnelblick hatten, haben die anderen Teilnehmer das mit ihrem externen Blick schnell durchbrochen. Das klappte besonders gut, wenn die anderen das Produkt und dessen Herstellung nicht kannten. Dabei haben die Teilnehmer nicht nur bereits veröffentlichte Entwicklungen oder patentierte Verfahren eingebracht, sondern auch neue Ideen. Die kann man in einem solchen Arbeitsklima ungezwungen in den Raum stellen, sie gemeinsam weiterentwickeln und verschiedene Szenarien durchspielen, um geeignete Lösungsansätze zu entwickeln. Weil hier Kompetenzen aus Stahlherstellung und Verarbeitung zusammentreffen, werden Entwürfe von allen Seiten beleuchtet. So sind tiefgreifende strukturelle Analysen bereits im Vorfeld möglich, was zu einer schnelleren Umsetzung der Vorstellungen führt. Herr Wilke, möchten Sie das aus Sicht der Stahlhersteller ergänzen? Gerne. Durch das zerlegte Fahrzeug und die Datenbank haben alle Teilnehmer detaillierte Informationen zum aktuellen Stand der Technik erhalten. Zudem wurde sichtbar, welche Vielzahl von Schmiedestücken die Industrie in einem Fahrzeug verarbeitet. Die Analyse legt die anteiligen Gewichtsprozente an den jeweiligen Baugruppen für Massivumformteile offen, und das Benchmarking zeigt, an welchen Stellen man mit Blech-, Guss-, Sinter-, oder Verbundwerkstoffen arbeitet. So lässt sich beinahe jedes Bauteil daraufhin untersuchen, ob alternative Schmiedetechnologien sinnvoll einsetzbar wären. Ebenso aufschlussreich war es, die Werkstoff und Festigkeitsalternativen zu erörtern. Besonders interessant waren aus meiner Sicht die Überlegungen, wie man das Gewicht der vorgefundenen Massen im Vorderwagen reduzieren kann. Herr Dr. Raedt, Herr Wilke, ergeben sich denn aus den bisherigen Ergebnissen schon konkrete Forschungsansätze? Als konkretes Beispiel für ein laufendes Forschungsprojekt sei hier „HiPerComp“ angeführt: Dort versucht man, Stahl zu produzieren, der fehlertolerant reagiert und in der Folge ein robusteres Verhalten bei Belastungen zeigt. Unser Projekt zeigt uns, dass wir noch mehr über die tatsächliche Belastbarkeit eines Bauteils wissen müssen – in Abhängigkeit vom gewählten Werkstoff und seinen Kenndaten sowie von der gewählten Prozesskette. Um die Auslegungsgrenzen weiter verschieben zu können, besteht auch noch Forschungsbedarf beim Zusammenhang zwischen Stahlreinheit und Belastbarkeit. Dabei müssen wir immer die gesamte Prozesskette im Auge behalten. Frau Bachmann Osenberg, im Oktober will die Initiative ihre Mitglieder über die Ergebnisse informieren. Veröffentlichungen in Fachzeitschriften sind auch in Vorbereitung, um die Potenziale massivumgeformter Bauteile und Komponenten aus Stahl für den Leichtbau darzustellen. Welche weiteren Maßnahmen sind im Bereich Marketing und Öffentlichkeitsarbeit geplant? Unser vorrangiges Ziel ist es, die Projektergebnisse in den Fokus der Automobilindustrie zu rücken. Wir sind im Juni mit der ersten Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gegangen. Wir wollen mit unserem Leichtbaupotenzial ja auch eine breite Öffentlichkeit erreichen. Mit Projektpräsentationen auf wichtigen Veranstaltungen der Automobilindustrie sowie durch Veröffentlichungen in Automobilzeitschriften erreichen wir unsere Zielgruppe. Zusätzlich führen wir Präsentationen bei den OEMs direkt vor Ort durch. Für das kommende Jahr planen wir eine Kundenveranstaltung. Aktuelle Informationen zum Projekt gibt es auf der projekteigenen Webseite www.massiverLEICHTBAU.de. In die Runde gefragt: Wie werden denn diese Maßnahmen durch die Mitglieder der Initiative Massiver Leichtbau weitergetragen? Dr. Hans-Willi Raedt: Die Teilnehmer werden ja mit den Ideen weiterarbeiten, die sie im Rahmen der Initiative entwickelt haben, und sie zur Anwendungsreife bringen. So ein Innovationsschub schlägt sich natürlich im täglichen Umgang mit den Kunden und in der Öffentlichkeitsarbeit der einzelnen Unternehmen nieder. Frank Wilke: Auch darüber hinaus hinterlässt das Projekt seine Spuren im Arbeitsalltag. So hat sich zum Beispiel die Kommunikation zwischen den Betrieben der Massivumformung und den Stahlwerken verbessert.


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