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massivUMFORMUNG Maerz 2016

MENSCHEN UND WERTE Fenstergitter: Filmrequisit für „Anonymus“ Dictature importée, Radierung Wenn man mit Latifa Sayadi spricht, hat man den Eindruck, sie sei mit allen Schmiedinnen und Schmieden Europas verwandt. Sie arbeitet in deren Werkstätten, teils gefördert mit Stipendien (zum Beispiel 2014 für die Restauration von Tür- und Möbelschlössern), nutzt deren Erfahrungen, gibt ihre eigenen Erfahrungen weiter, in Portugal und Frankreich ebenso wie in Großbritannien. Schon seit den Neunzigerjahren arbeitet sie in verschiedenen Metallwerkstätten in Berlin und Portugal, im Kurs Blacksmithing and Metalwork am Herefordshire and Ludlow College in Hereford/ Großbritannien, in einer Schmiede in Frankreich. Ihre eigene Werkstatt in Berlin betreibt sie zwar seit 2002, seither arbeitet sie aber auch ständig in anderen Werkstätten in Europa. Die internationale Familie der Schmiede und Schmiedinnen ist klein genug, dass man voneinander weiß. Nachdem sie bereits 2008 einen Dokumentarfilm über Schmiedinnen – Queens of Iron – herausgebracht hatte, schrieb sie 2013 das Buch „Striking Women mild as steel“ über ihre Hammerschwestern, in dem sie 46 Kunstschmiedinnen und Metallgestalterinnen aus 12 Ländern porträtiert und deren markanteste Werke vorstellt. Gern spielt sie mit dem Doppelsinn von Begriffen, nutzt auch Sprache als Material besonderer Ausformung, wenn sie die Kolleginnen mit „sanft wie Stahl“ untertitelt: mild steel ist im Englischen zugleich die Bezeichnung von Baustahl. In diese Logik passt, dass sie für die jüngste Ausgabe des britischen Schmiedemagazins BABA (British Artist Blacksmiths Association) als Gasteditorin fungiert. Ihr Schwerpunkt wird die Geschichte der Schmiedeindustrie in verschiedenen Regionen Westeuropas sein. „Man versteht selber die eigene Arbeit besser, wenn man die historischen Hintergründe kennt.“ Welch Wunder, dass man Latifa Sayadi zurzeit weniger zu Hause, sondern mehr unterwegs antrifft. Unterwegs mit Ihrem Mercedes Feuerwehr Oldtimer, mit dem sie quer durch Europa transportiert, was man neudeutsch Equipment nennt – aber genauso oft ihre Skulpturen zu Ausstellungen. Irgendwann kamen dann die Schlüssel, die als Kindheitsprägung nicht taugten, doch noch zu ihrem Recht. Der Zufall wollte es, dass die Requisiteure für den Film „Der Vorleser“ ganz dringend „echte“ klirrende Zellenschlüssel für die Beschließerin im Frauengefängnis brauchten. Ein Expressbote brachte abends ein Original aus dem Stasiknast Museum Hohenschönhausen: „Davon bis morgen Abend 18 Stück!“ lautete der Auftrag – so kommt man als Schmiedin zum Film. Wenn – wie in „Anonymus“ – Werkzeuge und Herdplatten gebraucht werden, die echtem Feuer widerstehen, ist mit Kunststoffattrappen wenig gewonnen – auch hier muss Metall her. Seit ein paar Jahren arbeitet Latifa Sayadi zudem wieder zweidimensional. Druckgrafiken entstehen, die dennoch mit der Bildsprache der Dreidimensionalität das Arbeiten mit Metall gleichermaßen auf dem Papier erkennen lassen. Und die Druckplatten für die Grafiken fertigt sie auch nicht in einem Grafikatelier, sondern in der Schmiede. Keine Wünsche offen? Doch. Um etwas wirklich Großdimensioniertes zu schaffen, würde sie gern mit einer Industrieschmiede zusammenarbeiten. Zum Beispiel an einer Skulptur für den öffentlichen Raum. „Eine Vergrößerung der Ironic Fossils in die Kubikmeter Dimension könnte ich mir gut vorstellen.“ Kürzlich fand Latifa Sayadi alte Aufnahmen ihrer Puppen wieder. Nicht irgendwelche Aufnahmen, denn was macht ein junges Mädchen mit Puppen, wenn die Mutter Ärztin ist? Die Puppen werden geröntgt. Und diese noch existierenden Röntgenbilder werden sich demnächst in Vorlagen für Fotoradierungen verwandeln. Latifa Sayadi Köpenicker Straße 187 – 188 10997 Berlin E-mail: info@schmiedin.de Internet: www.schmiedin.de Latifa Sayadi: Striking Women mild as steel 22012, Blue Moon Press ISBN 978-1-936013-16-6 Signiert zu beziehen über die Autorin 82 massivUMFORMUNG | MÄRZ 2016


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