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massivUMFORMUNG September 2017

KUNST UND KULTUR AUTORIN Dagmar Thiel ist freiberufliche Journalistin und Dozentin für journalistische Weiterbildung in Bad Bentheim Foto: Norbert Muczka Seit mehr als 3.000 Jahren gehören Ketten zum Alltag der Menschen, als filigraner Schmuck ebenso wie als technisches Hilfsmittel. Für das östliche Ruhrgebiet und das angrenzende Sauerland gehörte die Kettenherstellung einst zu den wichtigsten Industriezweigen. Das galt auch für die Stadt Fröndenberg. „Unser Museum will das alte Handwerk des Kettenschmiedens und -schweißens lebendig erhalten“, sagt Norbert Muczka, Vorstandsmitglied des Fördervereins Kulturzentrum Fröndenberg, der das dortige Kettenschmiedemuseum betreibt. Das 1999 eröffnete Museum zeigt in drei Räumen 18 funktionsfähige Maschinen aus den Jahren 1910 bis 1950 sowie eine Schmiedefeueranlage. Die Maschinen wurden in mühevoller Kleinarbeit aus zahlreichen ehemaligen Kettenfabriken zusammengetragen, restauriert und wieder funktionsfähig gemacht. Im Museum befinden sich alle für diese Arbeiten erforderlichen Schneide- und Biegemaschinen, elektrische Handschweißmaschinen und Kettenschweißautomaten. Zu sehen sind außerdem Rollfässer sowie Verdreh und Kettenprüfmaschinen, mit denen die fertigen Ketten gerollt, poliert, verdreht und geprüft wurden. „Die Maschinen können hier nicht nur besichtigt, sondern auch ausprobiert werden“, ergänzt Norbert Muczka. 18 ehrenamtliche Mitarbeiter informieren die Besucher bei Führungen nicht nur, sondern produzieren auch Ketten. Als besondere Attraktion arbeitet am ersten Sonntag im Monat ein Schmied an Amboss und Esse. Die Geräuschkulisse, die sprühenden Funken und die Wasserdampfschwaden, während er das 1.300 °C heiße Eisen im Wasser löscht, sind ein spektakuläres Schauspiel. „Bei Besichtigungen von Schulklassen und Jugendgruppen können die Kinder selbst ihr eigenes Kettenglied mit denen der anderen zu einer Kette der Freundschaft verbinden“, erklärt Muczka. Herzstück des Museums ist die Schmiedefeueranlage mit den beiden Fallhämmern und dem Transmissionsantrieb aus dem Jahre 1910. Sie stammt aus der Ruhrland Kettenfabrik Wilhelm Prünte. Mit Hilfe von Spezialkoks und einem Luftgebläse werden die U-förmig gebogenen Pinne auf etwa 1.300 °C erhitzt und mit dem Fallhammer an den beiden Enden flachgeschlagen – dies wird „Anschärfen“ genannt. Dann wird das „U“ durch ein bereits fertiges Kettenglied gesteckt. Am Amboss schlägt dann der Schmied die beiden angeschärften Enden übereinander, sodass ein „O“ entsteht. Nach erneutem Erhitzen wird das neue Kettenglied mit kräftigen Hammerschlägen verschweißt. Unter dem Fallhammerbär entsteht die optimale Rundform. Zum Schluss entfernt der Kettenschmied mit dem Schmiedehammer den entstandenen Grat am Kettenglied und gibt ihm die endgültige Form. Das Kettenschmiedemuseum entstand in dem ehemaligen Magazingebäude der Papierfabrik Himmelmann. An die 1982 geschlossene und ab 1987 abgebrochene Fabrik erinnert auch heute noch der unweit des Museums stehende „Fröndenberger Trichter“. Das 14 Meter hohe imposante Metallbauwerk wurde genutzt, um Wasser zu reinigen, das für die Papierproduktion unerlässlich war. Um ein solches Museum ins Leben zu rufen, braucht man nicht nur eine überzeugende Idee, sondern auch etwas Glück und die richtigen Kontakte. Bei einer privaten Feier Mitte der 1990er-Jahre in Fröndenberg war auch der renommierte Künstler Markus Lüpertz unter den Gästen. Die Museumsmacher konnten ihn für die Idee gewinnen, den Hochleistungs Trichterstoff Fänger als Denkmal der Industriekultur massivUMFORMUNG | SEPTEMBER 2017 85


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