Entstanden ist das Kunstwerk in einem „take part in art ©“-Workshop unter dem Motto „change the rules“. In einem mehrstufigen Prozess erarbeitete Kassel mit 45 GETRAG-Führungskräften Visionen, Hoffnungen und Wünsche für ihre Arbeit und für das Unternehmen, die die Manager schließlich – jeder für sich – auf die vorbereiteten Glasplatten schrieben. Eingefügt in die Stahlsäule und beleuchtet von LEDs bilden diese beschrifteten Platten einen grünlich schimmernden Block: ein Archiv der Gedanken und Ideen mit ganz eigener Strahlkraft. Ein Kunstworkshop für Führungskräfte: Geht da nicht mancher Ingenieur oder Techniker mit Vorbehalten hinein? Hermann J Kassel schmunzelt, wenn man ihn darauf anspricht. Er bringt jedoch nicht nur ein gut durchdachtes Konzept mit, das genau auf die Fragestellung zugeschnitten ist, sondern der freundliche, langhaarige Hüne überzeugt mögliche Skeptiker wohl auch mit seiner Künstler-Persönlichkeit, sich auf den kreativen Prozess und die Arbeit einzulassen. Das Kunstwerk strahlt in das Unternehmen zurück und nach außen: „In Gesprächen erfahre ich immer wieder, welche Bedeutung es für die GETRAG-Mitarbeiter hat – und dass sich auch Besucher davon angesprochen fühlen“, erzählt Kassel. Das Feedback bestätigt ihn darin, dass der Schaffensprozess in der Gruppe und die intensive Auseinandersetzung mit Unternehmensthemen im Werk spürbar sind. Es geradezu „mit Energie aufgeladen“, wie er es nennt. „Energie“ – das Wort taucht im Gespräch mit dem Künstler immer wieder auf, ob es um den körperlichen Einsatz beim Schweißen großer Werkstücke geht oder um die kreativen und künstlerischen Kräfte, die sein Schaffen beflügeln. Kassel lotet die Energie von Orten aus, zum Beispiel mit der Raum-Ton- Installation „auf ewig“ in Schloss Horst in Gelsenkirchen, das unter anderem das zentrale Standesamt der Stadt beherbergt. Kassel sammelt Sonnenenergie, um einen Kubus aus Glasbausteinen nachts zum Leuchten zu bringen. Und er lässt den Betrachter selbst aktiv werden, etwa indem dieser mittels eines Blasebalgs die „Pneumate“ aufpumpt – flache Wandinstallationen, die sich durch die Luftzufuhr in den Raum reinwölben. Auch seine „Polymobile“ sind auf Interaktion ausgelegt. Diese figurähnlichen Metallskulpturen wirken ganz statisch, bis sie durch Antippen in Bewegung gesetzt werden. Manche dieser kinetischen Objekte stehen mit einem „Standbein“ aus Moniereisen auf einer Stahlplatte, auf der sie mit einem wippenden „Spielbein“ einen nervösen Rhythmus trommeln. 66 SchmiedeJOURNAL März 2014 Andere schieben sich scheppernd in schaukelnden Bewegungen auf langen Metallbeinen durch den Raum. Der Klang taucht in seinen Arbeiten nicht zufällig auf: Kassel entstammt einer Familie von Kirchenmusikern. Dass er jederzeit laut Musik machen oder hören kann, zählt er zu den Vorzügen seines Ateliers im Mechernicher Kultur- und Freizeitzentrum „Zikkurat“, einer ehemaligen Steinzeugfabrik. Als er vor 19 Jahren einzog, wurde im Erdgeschoss noch Gebrauchskeramik produziert. Heute finden sich weitere Künstlerateliers sowie unterschiedlichste Räumlichkeiten für Konzerte, Entertainment oder große Firmenevents in dem alten Ziegelgebäude. Trotzdem bietet ihm der Ort immer noch beste Möglichkeiten. In einem separaten Gebäude konnte er jüngst einen großen ebenerdigen Raum anmieten. „Hier kann ich künftig alle Arbeiten mit Metall machen.“ Etwa für seine „Baum-Arbeiten“: Anfangs umhüllte Kassel Baumstümpfe mit Moniereisen. Inzwischen sind es eigenständige baumähnliche Skulpturen, die durch das Verschweißen der geriffelten Metallstäbe eine geradezu rindenartige Oberflächenstruktur aufweisen. Die Werkstattausstattung hat allerdings Grenzen: Arbeiten wie Lasern oder Wasserstrahlschneiden lässt Kassel in spezialisierten Werkstätten erledigen. Etwa für ein sehr schlichtes Doppel-Kreuz, das er als Auftragarbeit für die St. Evergislus- Kirche in Bonn-Plittersdorf entworfen hat. Dafür ließ er aus einem Stahlkreuz die Balken eines schmaleren herausschneiden und nach vorne aufbiegen. Obwohl das Kreuz auf die Darstellung des Leidens verzichtet, lässt die Skulptur doch von vorne eine fast figürliche Auslegung zu. Auch diese Idee hatte er schnell „eingefangen“, hat noch viel ausprobiert, um am Ende doch darauf zurückzukommen: Weil sie einfach perfekt war. Auch eine andere Idee flog ihm zu und blieb: Für seine „Erd-Arbeiten“ verschließt Kassel bemalte oder beschriebene Trägermaterialien wie Papier oder Leinwand zusammen mit feuchtem Waldboden luftdicht in einem Kasten aus Stahl und Glas und lässt Pilze, Flechten und Mikroorganismen ihr Werk tun. Einen Einfluss auf sein Werk hat er dann nicht mehr. Die langsame, unaufhörliche Metamorphose kann höchstens noch in Fotos dokumentiert werden. Dabei ist es ihm wichtig, dass es nicht um Zerfall oder Zersetzung geht: „Was man hier sieht, sind Wandel und Transformationsprozesse.“ n Corinna Blümel Bild: Fotostudio Balsereit, Köln Hermann J Kassel An der Zikkurat 4 53894 Mechernich Telefon: +49 2256 3150 atelier@hermann-j-kassel.de www.hermann-j-kassel.de www.take-part-in-art.de Hermann J Kassel mit seinen “Polymobilen“. „Baum-Arbeiten“ aus Moniereisen. Den weiteren Verlauf der „Erd-Arbeiten“ übernimmt die Natur. Bilder: Hermann J Kassel Magazin
2014-03-Schmiede-Journal
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