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2013-03-Schmiede-Journal

1943 zufällig entwickelt hatte. Für den Künstler war diese Spirale die perfekte Vorlage für ein öffentliches Kunstwerk. „So, wie der Hersteller von Slinky sehr lange darauf bedacht war, den Preis der Metallspirale stabil niedrig zu halten, damit sie für alle Kinder erschwinglich bleibt, ist die Brücke eine große Skulptur von mir, die für jeden immer zugänglich und benutzbar ist“, erklärt Tobias Rehberger. Der Eindruck von Lebendigkeit entsteht durch eine verschobene Anbringung der insgesamt 496 Spiralen aus Aluminium: Sie sind abwechselnd links und rechts, oben und unten aus der Mittelachse geschoben und mit 992 Spiralhaltern rechts und links neben den Spannbändern befestigt. Damit die demnächst auf dem Rhein-Herne-Kanal zugelassenen Containerschiffe unter der Brücke hindurchpassen, musste sie die ungewöhnliche Höhe von zehn Metern erreichen. Der Laufbelag besteht aus einem Material ähnlich einer Tartanbahn, auf dem sich Farbfelder abwechseln, die aus 16 verschiedenen Farbtönen bestehen. Nachts wird die Brücke zudem beleuchtet und setzt den farbigen Brückenüberbau wirkungsvoll in Szene. Tobias Rehberger ist für seine Werke vielfach ausgezeichnet worden. Auf der Kunst- Biennale in Venedig bekam er 2009 den „Goldenen Löwen“. Der Künstler, der an der Frankfurter Städelschule Bildhauerei unterrichtet, gilt als Grenzgänger zwischen den Disziplinen Architektur, Design und Kunst. „Slinky Springs to Fame“ ist seine erste Brücke. Das freie Schweben, das Fliegen, die Bewegung und die Farbe sind die wesentlichen Charakterzüge der Brücke. Bewegung wollte Tobias Rehberger nicht nur sehen, sondern auch spüren. Vom Oberhausener Kaisergarten aus kommend, schlängelt sich eine 170  Meter lange Rampe durch das Grün der Bäume 70 SchmiedeJOURNAL März 2013 Bild 2: Bei der Auszeichnung mit dem Stahl-Innovationspreis 2012: Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Reitzle, Tobias Rehberger, Prof. Mike Schlaich, Dr. Jost A. Massenberg (von links). Bild: Stahl-Informations-Zentrum bis in zehn Meter Höhe. 106  Meter umfasst das Spannband, wovon 62 Meter frei über der Wasserfläche des Rhein-Herne-Kanals hängen. Eine 130 Meter lange Rampe führt den Fußgänger oder Radfahrer anschließend in erneuten sanften Schwüngen auf die Emscher- Insel herab. Das Ingenieurbüro Schlaich, Bergermann und Partner aus Stuttgart hat das Bauwerk in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler umgesetzt. Nachdem die Wahl auf die filigranste aller möglichen Konstruktionen – eine Spannbandbrücke – gefallen war, begannen im März 2010 die Bauarbeiten. Schwierige Vorarbeiten in der Emscheraue und zwei harte Winter unterbrachen die Bauarbeiten für Wochen. Nach 15 Monaten reiner Bauzeit war die Spannbandbrücke fertig. Zwei massereduzierte, parallel laufende Blechbänder aus hochfestem Feinkornbaustahl S690 mit einer Breite von 460 Millimetern und einer Dicke von 30 Millimetern tragen drei Brückenfelder bis zu den äußeren V-förmigen Stützen im Uferbereich. Der Zug aus der Vorspannung der Bänder wird über Umlenksättel als Druckkraft in die aus Stahl S355 gefertigten schrägen Stützen sowie als Zugkraft über vertikale Zugverankerungen aus Stahl S460 in die massiven Widerlager abgeleitet. Die Überbauhöhe des Brückenstegs einschließlich der aufgesetzten Gehwegelemente, an denen Geländer und Spiralen befestigt sind, beträgt nur 120 Millimeter. Das verleiht der Brücke ihre filigrane Linienhaftigkeit. Durch den Einsatz des hochfesten Stahls konnten der Querschnitt und damit das Gewicht der Stahlblechbänder im Vergleich zu normalem Baustahl um mehr als die Hälfte reduziert werden. Bezogen auf die Hauptspannweite ist dieses Bauwerk Europas längste Spannbandbrücke aus hochfestem Stahl. „Sie zeigt eindrucksvoll die technischen Möglichkeiten materialeffizienter Systembauteile in der modernen Stahlbrückenarchitektur“, lobte das Stahl-Informationszentrum in Düsseldorf anlässlich der Verleihung des Stahl-Innovationspreises 2012. Die reinen Baukosten von „Slinky Springs to Fame“ belaufen sich auf fünf Millionen Euro, davon tragen EU und das Land Nordrhein-Westfalen durch Fördermittel 80 Prozent, die Emschergenossenschaft hat die übrigen 20  Prozent übernommen. n Magazin Daten und Fakten „Slinky Springs to Fame“ Gesamtlänge der Brücke: 406 Meter Spannband: 106 Meter, davon 62 Meter frei über dem Kanal hängend Brückenbreite: 2,5 Meter Gewicht der Stahlkonstruktion: 115 t Anzahl der Spiralen: 496 Stück Gesamtlänge des Aluminiumbandes (Spiralen auseinandergerollt): 7.800 Meter Spiralhalter: 992 Stück Geländer: 812 Meter Füllung: Maschendrahtnetz aus Edelstahl Beschichtung des Bodens: 16 verschiedene Farbtöne nach einem Konzept von Tobias Rehberger Beleuchtung Oberseite: 406 Meter einseitig im Handlauf Beleuchtung Unterseite: 293 Leuchten, eingebaut in den Alu-Spiralen Kabellänge: zirka 2.700 Meter Bild 1: „Slinky Springs to Fame“ bei Nacht. Bild: Ilias Abawi/Emschergenossenschaft Dagmar Thiel


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