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massivUMFORMUNG September 2017

TECHNOLOGIE UND WISSENSCHAFT Bild 4: Konturenvergleich (links) und makroskopische Verschleißdokumentation (rechts) einer 200-μm- und einer 500-μm-Nitrierung nach 500 Schmiedezyklen da die Nitrierschicht auf dem weicheren Gefüge durch lokales Überschreiten der Fließspannung abgleitet. Dies ist sowohl im Koordinatenvergleich (links) als auch in der makroskopischen Aufnahme (rechts) der 200-μm-Nitrierung zu erkennen. Erst eine Langzeit Nitrierung mit einer NHT von 500 μm (Bild 4, unten) verhindert eine Materialverschiebung im Bereich des Dornradius wirkungsvoll, da sie den auftretenden thermischen Entfestigungen vollständig entgegenwirkt. Die Stabilisierung des Radius geht jedoch einher mit einer starken Rissbildung. Auch ein deformationsfreier abrasiver Abtrag des Gesenkdorns kann durch die starke Nitrierung nicht vollständig verhindert werden. Dies korreliert mit den Ergebnissen des tribologisch belasteten Modellgesenks, wonach die entstehende Rissbildung den abrasiven Abtrag begünstigt. Aufgrund der geringen Gleitwege auf dem Dorn des thermisch belasteten Gesenks ist der abrasive Verschleiß dieses Bereichs verhältnismäßig gering. Es überwiegt die stabilisierende Wirkung der tiefen Nitrierung und die damit einhergehende Reduzierung der Gesamtverschleißerscheinungen, weshalb in thermisch hochbelasteten Bereichen ohne große Gleitwege eine möglichst hohe Nitrierhärtetiefe gewählt werden sollte. ERKENNTNISTRANSFER AUF INDUSTRIELLE SCHMIEDEPROZESSE Um die an den Instituten durchgeführten Untersuchungen auf Schmiedeprozesse im industriellen Maßstab übertragen zu können, wurden produktionsbegleitende Schmiedeversuche durchgeführt. Hierfür wurde ein geeigneter Industrieprozess ausgewählt und die Schmiedegesenke dieses zweistufigen Prozesses umfassend charakterisiert. Auf Basis dieser Charakterisierung wurde eine lokale Behandlungsstrategie abgeleitet und auf jeweils vier Werkzeuge appliziert, bevor diese regulär in der Produktion eingesetzt wurden. Nach Erreichen der Standmenge wurden diese ebenfalls untersucht und die Ergebnisse einander gegenübergestellt. Durch den lokalen Behandlungsansatz konnte die mittlere Standmenge der Vorgravur von durchschnittlich 3.000 auf 5.200 Schmiedezyklen und die der Fertiggravur von 2.400 auf 3.200 Schmiedezyklen gesteigert werden. Dies entspricht einer Standmengensteigerung von zirka 70 Prozent bei der Vorgravur beziehungsweise knapp 30 Prozent bei der Fertiggravur und bestätigt das hohe Potenzial lokaler belastungsangepasster Behandlungen. Die bisherigen Ergebnisse müssen nun in weiterführenden Versuchsreihen und über einen längeren Zeitraum untersucht werden, um abschließende Aussagen zur Wirtschaftlichkeit der Verschleißschutzbehandlung treffen zu können. FAZIT Anhand ausgelegter Modellprozesse und experimenteller Untersuchungen konnten die Anforderungen an belastungsgerechte Verschleißschutzbehandlungen auf Basis von Oberflächen und Randschichtmodifikationen definiert und entsprechend entwickelt werden. Anschließend wurden die Behandlungen in Serienschmiedeversuchen eingesetzt und anhand von umfangreichen Analysen die bestmögliche Behandlung je Hauptbeanspruchung herausgearbeitet. Weiterhin wurden Möglichkeiten zur lokalen Applikation und deren Einfluss auf das Einsatzverhalten untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass lokale Behandlungen durch diffusionshemmende Pasten oder mechanische Abdeckungen realisiert werden können und das Einsatzverhalten nicht beeinflussen. Weiterhin konnte sowohl der überwiegend tribologischen als auch der überwiegend thermischen Beanspruchung je eine geeignete Verschleißschutzmaßnahme zugeordnet werden. Unter überwiegend tribologischer Beanspruchung ist eine möglichst geringe Nitrierhärtetiefe in Kombination mit einer Beschichtung zu wählen, da die entstehende starke Rissbildung hoher Nitrierhärtetiefen verschleißinitiierend wirkt, während thermisch beanspruchte Bereiche eine hohe Nitrierhärte erfordern, um der thermischen Entfestigung entgegenzuwirken. Die starke Rissbildung ist in diesen Bereichen nicht verschleißinitiierend, da die vorherrschenden Gleitwege zumeist gering sind. Die Übertragbarkeit der entwickelten lokalen Behandlungsstrategien auf die industrielle Praxis wurde durch zusätzliche prozessbegleitende Industrieversuche sichergestellt. Durch die lokale belastungsangepasste Behandlung der Werkzeuge ist es möglich, die erreichbare Standmenge deutlich zu steigern. Das Potenzial dieser Behandlungen konnte herausgearbeitet werden, ist jedoch vom Einzelfall, das 64 massivUMFORMUNG | SEPTEMBER 2017


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